Adventsserie 2020 von HR Today: Corporate Learning

In Zusammenarbeit mit HR Today habe ich für den Dezember 2020 eine siebenteilige Artikelserie zu mehr Erfolg beim Lernen in Organisationen verfasst. Sie können diese Artikel gleich hier lesen, oder natürlich direkt bei HR Today.


Der erste Streich

Corporate Learning – mit neuem Lernen zu Erfolg

«Die Stunde dringt, und rascher Tat bedarfs», fand schon Friedrich von Schiller. Recht hatte er. Alles ist im Wandel: Geschäftsmodelle, die Form des Arbeitens, die gesamte Technologie. Was weiter auf der Stelle tritt, ist die Art und Weise, wie wir lernen damit umzugehen. In den folgenden sieben Beiträgen mache ich mir ein paar laute Gedanken dazu.

«Neues Lernen» und das «Lernen von Morgen» sind nur zwei der Slogans, mit denen Organisationen ihre Wandlungsfähigkeit und ihren Innovationsgeist an grosse und vor allem laute Glocken hängen. Das hat zwei Implikationen, die nicht besonders vielversprechend sind. Sprechen wir nämlich von «Morgen» oder der «Zukunft» des Lernens, können wir die dazu notwendigen Änderungen und Aktivitäten getrost dorthin planen und für heute behaglich beim Bestehenden bleiben. Wenn wir ehrlich sind, hätten wir schon aufgrund des übervollen Tagesgeschäfts ohnehin keine Zeit für Neues.

Die weitaus desillusionierendere Auswirkung hängt mit der Lautstärke der erwähnten Glocken zusammen. Wir stecken deutlich zu viel Energie dorthin, Personalmarketing mittels Buzzwords zu betreiben und neben New Work oder Agilität vollmundig vom neuen Lernen zu sprechen und damit im War for Talents die Nase vorn zu haben. Da bleibt dann oft keine Puste mehr übrig, um das dann auch wirklich umzusetzen.

Vergangenes hilft nicht

Aber weshalb braucht es denn überhaupt ein anderes, neues Lernverständnis in Organisationen? Bisher hat das Bestehende doch ausgereicht. Na gut, mal besser und mal schlechter, aber im Grossen und Ganzen ist wohl kaum ein Unternehmen deshalb pleitegegangen, weil die Mitarbeitenden schlecht geschult waren. Oder?

Ja, das mag sein. Aber wir werden keine Antworten für die Zukunft finden, wenn wir ausschliesslich in die Vergangenheit schauen. Denn die Herausforderungen, mit denen wir aktuell (und inskünftig) konfrontiert sind, hat bisher noch niemand meistern müssen, weshalb wir auch auf die allseits herbeigerufene Best Practice verzichten müssen. Das bedeutet fürs Lernen: Wir können nicht auf bewährtes Wissen zurückgreifen, um es in noch innovativere Methoden und Formate gegossen unter den Lernpflichtigen zu verteilen. Schlimmer noch, wir haben kaum mehr den Überblick, wo das benötigte Wissen zu finden ist. Die klassische Reaktion des Abwartens verschärft die daraus entstehenden Probleme erst recht. Denn zum einen wiegen wir uns mit unsicherem Wissen in falscher Sicherheit und wir vertrödeln viel Zeit, die wir für die Umstellung von Organisationen und Menschen für das «Umlernen» des Lernens brauchen können.

Und was machen wir da?

Was kann Learning & Development also tun, wenn sich die wichtigsten Ressourcen nicht in nützlicher Frist zentralisieren und explizieren lassen? Die radikale Antwort lautet: sich neu erfinden. Denn mit unseren «alten» Verantwortlichkeiten und Aufgaben werden wir keinen umfassenden Beitrag mehr zur Entwicklung von Menschen in Organisationen leisten können.

Ich möchte in dieser Adventsserie herleiten, welches andere Lernen denn das «neue Lernen» sein könnte, dann die neuen Verantwortlichkeiten von Learning & Development skizzieren, und Vorschläge für konkrete erste und auch zweite Schritte machen. Dabei zweige ich Beispiele von Organisationen ab, die bereits auf dem Weg sind, zu einem neuen, ganz anders gestalteten Lernen.

Abschliessend noch eine Bemerkung zum «richtigen» Gendern. Nach Jahrhunderten rein männlicher Formen halte ich es für angebracht, nun auf rein weibliche Formen zu wechseln. Damit sind Männer natürlich ebenso gemeint.


Der zweite Streich

Verhalten oder Verhältnisse?

Die mangelnde Zusammenarbeit von Personal- und Organisationsentwicklung ist eigentlich ein ziemlich alter Hut. Der aber in Zeiten, wo alle von fehlendem oder schlimmer noch falschem Mindset reden, wieder sehr aktuell ist. Häufig macht man dieses zu einem Thema der Personalentwicklung: Man versucht das Verhalten zu entwickeln, fasst die Verhältnisse hingegen nicht an – mit kontraproduktiven Folgen.

«Wir müssen einfach die Menschen mitnehmen» oder «denen fehlt lediglich das richtige Mindset», sind nur zwei von vielen ähnlich gelagerten Aussagen, die das Dilemma in der Personalentwicklung in seiner ganzen Grösse deutlich machen. Zum einen scheint hier das alte Prinzip der schwächen-orientierten Pädagogik auf, in der ein falsches Funktionieren repariert, oder ein pauschal vermutetes Defizit behoben werden soll. Am liebsten natürlich in skalierbarer Form, damit man dabei möglichst effizient und kostensparend bleibt.

Zum anderen – und das ist meiner Erfahrung nach problematischer – ist das mit dem Versuch verbunden, die Menschen in deren Verhalten zu ändern. Nun ist es ja gewiss nicht so, dass unser Verhalten in beruflichen Kontexten stets tadellos wäre oder wenigstens dergestalt, dass es fortwährend den Unternehmenszielen dienen würde. Andererseits können wir unser Handeln immer nur so weit entwickeln, wie es uns die herrschenden Rahmenbedingungen erlauben. Mit anderen Worten: Die Verhältnisse bestimmen das Verhalten. Verfahren wir – insbesondere was das Lernen und die persönliche Entwicklung betrifft – mit engen und genauen Vorgaben, werden wir nur selten auf neugier-getriebenes, selbstorganisiertes Lernen treffen. Sprechen wir hingegen die Erwartung aus, dass die Menschen doch endlich mal selber mehr Initiative und Engagement für ihre eigene Weiterbildung ergreifen sollen, stossen wir auf unterschiedliche Dysfunktionalitäten.

Nur nicht hinterfragen

Die ohnehin schon engagierteren Kolleginnen werden versuchen, diesem Aufruf gerecht zu werden und dabei an den unveränderten Rahmenbedingungen anecken. Ihre Chefin könnte sie beispielsweise ermahnen, lieber zu arbeiten, statt ihre Zeit zu vertrödeln. Ihre Kolleginnen könnten sie schräg anschauen und mit anderen über ihre Faulheit tuscheln. Dabei holen sie sich eine blutige Nase oder sie fühlen sich frustriert. In beiden Fällen dürfte ihr persönliches Engagement eher abnehmen. Die eher in Konsumhaltung verharrenden Menschen indes, sind verunsichert und wissen nicht, was sie denn jetzt genau machen sollen.

Letztere dürften die Mehrheit bilden, denn schliesslich sind wir in unserer Bildungsbiografie alle entsprechend sozialisiert. Wir durften in Lernkontexten selten oder gar nie die Initiative ergreifen, wurden nie gefragt, was wir denn bräuchten und bekamen stets vorgegeben, was wann und in welcher Reihenfolgen zu bearbeiten war. Wie sollen wir das auf einmal können?

Selbständigkeit fördern

Aus meiner Sicht gibt es eigentlich eine ganz einfache Antwort auf dieses Dilemma. Es braucht ein Setting in Organisationen, das Menschen den nötigen Raum gibt, ihr Lernen selber zu gestalten. Es braucht ein Zuhören auf die Frage, wie die Mitarbeiterinnen denn lernen wollen. Und auf die Frage, wie sie ihr Lernen in ihre Arbeitsrealität integrieren wollen.

Können wir Rahmenbedingungen partizipativ mitgestalten, entwickeln wir ein anderes Verantwortungsbewusstsein, uns in diesen zu bewegen. Es wird also auf ein Joint Venture von Organisations- und Personalentwicklung hinauslaufen. In dem wir zeitliche, wie auch physische Gelegenheiten verfügbar machen, in denen Menschen sich eingeladen und sanktioniert fühlen, ihre Entwicklung im Kontext ihrer Arbeit selber in die Hand zu nehmen.


Der dritte Streich

Wir lernen nicht für die Schule, sondern fürs Leben*

Die Schule prägt unser Lernen und Arbeiten unser ganzes Leben lang. Innovation im schulischen Bildungswesen sollte daher auch für Unternehmen einen wichtigen Stellenwert haben.

Sobald menschliches Leben sich entwickelt, ist es in lernendem Austausch mit der Umwelt. Lernen geschieht permanent durch Wahrnehmung, Handeln und Reflexion. Insbesondere Neugier und der Wille, etwas zu erreichen, das uns bisher unerreichbar ist, treibt uns zu Lernanstrengungen an. Kleine Menschen erobern sich dadurch in wenigen Jahren Sprach-, Handlungs- und Verhaltenswelten. Dies ohne, dass sie jemand dazu anleitet und dadurch, dass sie selber entscheiden, wo sie Hilfe benötigen. Angetrieben davon, dass sie stets selbst bestimmen, mit welchen Herausforderungen sie sich befassen wollen und wie sie dabei vorgehen.

Schluss mit der Autonomie

Mit dem Eintritt in die Primarschule, mitunter sogar schon davor im Kindergarten, wird den Kindern die Autonomie und das Handlungsprimat genommen. Plötzlich mutiert Lernen zu einem disziplinarisch reglementierten, zentral geplanten Ereignis, das zudem ausserhalb der individuellen Interessenssphäre organisiert wird. Schluss mit Selbstbestimmtheit und Freiheit.

Natürlich gibt es Menschen, die mit dieser Art des Lernens sehr gut zurechtkommen, sowie jene, die innerlich stark und autonom bleiben und die Übergriffe durch die Bildungsinstitutionen an sich abperlen lassen. Die meisten müssen sich jedoch an Rahmenbedingungen anpassen, die nicht zu ihrem Naturell gehören. Das frustriert und mit der Zeit stumpfen diese Personen gegen alle Bemühungen von aussen ab.

Was jedoch alle lernen ist, ihren Weg durch den Bildungsbetrieb zu finden, Unangenehmem auszuweichen und sich zu ducken, wo Auffälligkeit schlecht ankommt. Ebenso, dass ihre persönliche Leistung und deren Bewertung stets in Konkurrenz zu ihren Mitschülerinnen stehen. Und was alle entwickeln, ist eine Haltung, mit der sie sich in diesem System behaupten und darin existieren können.

Derart sozialisiert durchlaufen wir Ausbildung, Studium, Weiterbildung, sowie betriebliche Qualifizierungsmassnahmen. Und entwickeln damit auch unseren Umgang mit den entsprechenden Rahmenbedingungen im Arbeitsumfeld. Wir versuchen, nicht zu sehr aufzufallen; unsere Ziele machen uns zu Wettbewerbern unserer Kolleginnen und wir richten unsere Leistungen darauf aus.

Altes Lernverhalten abstreifen

Organisationen im Wandel der digitalen Transformation brauchen aber eigentlich die kindliche Neugier, und das Streben, sich neue Fertigkeiten und Horizonte selber anzueignen. Schulen, Ausbildungsbetriebe und Universitäten werden das in der Breite auf absehbare Zeit nicht leisten. Hier sind also Personal- und Organisationsentwicklung auf eigene Anstrengungen angewiesen, die sinnvollerweise einen partizipativen Ansatz wählen, um den Mitarbeiterinnen das Verlernen alten Lernverhaltens zu ermöglichen und ihr eigenes, sowie das gemeinsame, vernetzte Lernen der Zukunft mitzugestalten. Und diese gleichzeitig an der Entwicklung notwendiger Strukturen und Rahmenbedingung zu beteiligen.

* Lucius Annaeus Seneca (etwa 1 bis 65 n. Chr.) war ein römischer Philosoph, Dramatiker, Naturforscher, Politiker und als Stoiker einer der meistgelesenen Schriftsteller seiner Zeit. Von ihm stammt unter anderem der Ausspruch «Non vitae sed scholae discimus» («Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir»), der später besonders in seiner Umkehrung berühmt wurde und in Wirklichkeit eine Kritik an der aus seiner Sicht zu wenig lebenspraktischen Orientierung der seinerzeit gelehrten Philosophie vermitteln sollte. (Quelle: Wikipedia)


Der vierte Streich

Wissen oder Können! Was ist hier die Frage?

Könnte es sein, dass der reine Wissenserwerb die Grundlage für kompetenz-orientiertes Lernen darstellt? Wenn dem so ist, werden Organisationen ihr Konzept vom Lehren und Lernen überdenken müssen, wenn sie Könnerinnen statt (Besser)Wisserinnen in ihren Reihen haben wollen.

Kehren wir nochmal in unsere Kindheit zurück: Alles, was wir uns lernend erschlossen, diente dazu, Dinge zu bewerkstelligen, die uns bis dahin nicht möglich waren. Wir wollten an höhergelegene Gegenstände kommen und lernten, uns an Wänden, Schränken oder Tischen aufzurichten. Wir wollten wie die Grossen den Spinat auf dem Löffel in den eigenen Mund befördern und lernten durch Imitation und Ausprobieren. Stets ging es darum, Willen via Handlung in Können zu überführen. Nie um reines Wissen.

Der Anfang vom Ende

Sie ahnen es schon: Auch das ist spätestens mit dem Eintritt in die Schule vorbei. Ab dann geht es in erster Linie um Wissen. Wann die Schlacht bei Issos stattfand. Wie sich der Umfang eines Kreises berechnet. Wie man Partizipialsätze bildet. Weshalb wir das wissen sollten, was sich damit ganz praktisch anfangen lässt, welchen möglichen Transfer es dazu in unsere Lebensrealität gibt, spielt für die Bildung dabei keine Rolle.

Für diejenigen, die sich im Anschluss an die Schullaufbahn einer Hochschule anvertraut haben, geht es nahtlos so weiter. Einzig Absolventinnen einer Berufslehre oder einer Fach(hoch)schule durften sich ein wenig anwendungsnäher bilden lassen. Dennoch trug uns allen die lange Zeit in Schulbänken ein tief verwurzeltes Lernverhalten ein, das wir automatisch an den Tag legen, wenn wir uns in offizielle Lehrkontexte versetzt sehen.

Klammer auf: Haben wir ein Hobby oder eine selbstgewählte Nebenbeschäftigung, für die wir wirklich brennen, dann lernen wir in der Regel ganz anders – leichter, selbstbestimmt und aktiv. Was sagt uns das über unseren Beschäftigungskontext, in dem wir zum Lernen angehalten werden müssen? Klammer zu.

Neubeginn

Beim Lernen in Organisationen ist das Erlangen von reinem Wissen nur die halbe Miete – höchstens. Wissen bildet allenfalls die Grundlage für neues, anderes, vielleicht besseres Handeln. Und in Organisationen geht es um das Handeln. Sei es bei der Produktentwicklung, im Vertrieb oder im Kundendienst. Wissen wie das geht hilft nicht, wenn man es nicht tut.

Sieht man sich jedoch Trainings in Unternehmen an, so wird in erster Linie Wissen vermittelt und abgefragt. In alter Schulmanier also. Und dann – der Regel nachgelagert – wird noch an den Know-how-Transfer gedacht, der – häufig in Form einer weiteren Wissensabfrage daherkommend – tatsächlich wenig Einbettung in den Arbeitskontext bietet.

Weshalb kehren wir nicht gedanklich in die Welt der Kindheit zurück und versuchen ein Setting zu schaffen, in dem es darum geht, Willen via Handlung in Können zu überführen? Unterstützt und begleitet von der Trainingsabteilung . So lassen sich verschiedene Ergebnisse ansteuern. Zum Ersten müssten die Menschen einen Willen entwickeln, also ihre Ziele analysieren. Sodann gälte es herauszufinden, welche Handlungsfertigkeiten anzustreben sind, um die notwendigen Kompetenzen zu entwickeln, um sich diese schliesslich im direkten Anwendungskontext selbstorganisiert und sinnvollerweise vernetzt anzueignen.


Der fünfte Streich

Lerngelegenheiten

Lernen ist grundsätzlich ein autonomer, selbstorganisierter Vorgang. Dazu gehört die Entscheidung über Lerngelegenheiten. So wird auch in Organisationen soziales und arbeitsplatznahes Lernen möglich.

In vorangegangenen Beiträgen konnten Sie erkennen, wer meine grossen Lernvorbilder sind: wir als Kinder, oder genauer als Vorschulkinder. Nicht nur, weil wir in wenigen Jahren unglaublich viel an Wissen und Fertigkeiten entwickeln. Sondern vor allem, weil wir das aus eigenem Antrieb und ohne äussere Vorgaben bewerkstelligen. Gewiss, es gelingt uns mehr, wenn wir Förderung und Unterstützung erfahren, wenn auf uns eingegangen wird und wir Bestätigung und Wirksamkeit erleben. Aber grundsätzlich sind wir es, die aufgrund unserer angeborenen Neugier und Lernfähigkeit die Arbeit leisten, uns immer wieder selbst motivieren und uns ständig neue Ziele setzen.

Ich sollte nun genügend auf dem Faktor der Selbstorganisation herumgeritten haben, um Ihre Aufmerksamkeit auf den Motor unseres Lernwillens zu lenken. Das, was unsere Aufmerksamkeit erregt und hält ist es, mit dem wir uns – oft auch ausdauernd und mit Anstrengungen – konzentriert beschäftigen. Diese mitunter lang anhaltende Motivation und Energie entwickelt ihre Kraft daraus, dass wir selbst es sind, die uns die leitenden Ziele setzen. Selbstgesteckte Ziele sind also ein wichtiger Faktor für den Willen und das Engagement Neues zu lernen.

Ziele als Motor

Natürlich hält sich die Zahl atemberaubender Neuentdeckungen mit fortschreitendem Alter in Grenzen und es braucht gezielte Impulse, um den Wissens- und Entdeckungsdrang zu füttern. Eine Aufgabe, die sich Bildungsanbieter und Institutionen auf die Fahnen geschrieben haben und häufig mit dem Anspruch verwechseln, die Menschen motivieren zu wollen. Was nach meinen bisherigen Ausführungen nichts anderes bedeuten würde, als deren Ziele und Willen zu externalisieren. Und doch ist es genau das, was Trainerinnen, Learning & Development-Abteilungen und die Personalentwicklung als ihre vordringliche Aufgabe verstehen. Dies am liebsten mit dem Einsatz modernster Technologien und mitunter denkwürdigen Überlegungen, wie: «Menschen sehen sich ja gerne Filme an. Packen wir unsere Wissensvermittlung also in Videos, dann werden schon alle motiviert sein, sich das zu vermittelnde Know-how anzueignen.» Dazu kommt die Betrachtung von Lernen als vorrangig konsumierenden Vorgang, der für die Betroffenen zu planen und zu organisieren ist.

Ein grossartiges Beispiel, wie es anders gehen kann, zeigt ein Pilotprojekt bei der Schweizer Post. Der Bundesbetrieb hat entschieden Lerngelegenheiten anzubieten, die interessierten Mitarbeiterinnen die Zeit und den Raum geben, selber zu entscheiden, mit welchen Themen und Inhalten sie diese ausgestalten wollen. Konkret gibt es einen Tag, an dem im Barcamp-Modus jede Mitarbeiterin Sessions anbieten kann, und ihre Kolleginnen diese Sessions nach Interesse besuchen und darin einen aktiven Beitrag zum kollaborativen und co-kreativen Lernen leisten können. Es gibt niemanden, der die Themen diktiert, eine Didaktik fordert, den Rahmen kontrolliert oder eine Lernerfolgskontrolle durchführt. Das Ergebnis: Alle, die daran teilnehmen, bringen dank den für sie aktuell relevanten Themen ganz von selbst die notwendige Motivation auf. Womit wir schon deutlich näher an der Art und Weise sind, wie Menschen am besten lernen: selbstgesteuert und autonom.


Der sechste Streich

Gemeinsam neues Wissen schaffen

Wissenserwerb sollte ein co-kreativer Prozess sein. Denn gerade für Rollen, die sich mit Innovation und Zukunftsthemen beschäftigen, braucht es Settings, in denen die Menschen gemeinsam neues Wissen schaffen, statt «vorverdautes» Wissen zu reproduzieren.

Im ersten Artikel dieser Reihe habe ich aufgezeigt, dass alte Lehr- und Trainingsrezepte schon allein deshalb nicht mehr funktionieren können, weil benötigtes Wissen immer weniger zentral und explizit verfügbar ist. Vorgekautes Wissen bietet schlicht zu wenig Relevanz und Nutzen, um anschlussfähig und zuordnungsbar zu sein.

Diese Erkenntnis ist für die klassische Lehre nur schwer verdaulich. Entsprechend wird sie als unsinnig, falsch und gerne auch als Blödsinn zurückgewiesen und in Ruhe so weitergemacht wie bisher.

Wo kommt das neue Wissen her?

Aber wie kann sich Lernen mit solchen Prämissen – dass das Wissen also vermehrt dezentral und implizit vorhanden ist – überhaupt entwickeln? Wir erinnern uns an das Vorgehen kleiner Kinder, die nachahmen und ausprobieren, bis sie eine neuen Fertigkeit besitzen. Im beruflichen Kontext ist ein derartiges, häufig eher willkürliches Vorgehen in der Regel nicht akzeptabel, da es zeitintensiv sein kann und damit das Lernen betriebswirtschaftlich gesehen in einem schlechten Verhältnis zum Arbeiten steht. Dennoch ist Ausprobieren mit Lust und Antrieb verbunden, weshalb uns diese Form von Lernen dabei helfen kann, Motivation und Engagement zu entwickeln. Kinder lernen ausserdem noch intensiver, wenn sie mit anderen zusammen sind. Gemeinsam schaffen sie Welten, die sie sich erschliessen wollen – egal, ob mit Lego oder Barbie-Puppen.

Was aber soll der Personalbereich Learning & Development in Zukunft beitragen, wenn das bestehende Handwerk zum Auslaufmodell wird? Wenn der Wissensvorsprung mehr und mehr wegbricht, wenn methodische und didaktische Rahmenbedingungen das Lernen eher erschweren, als es zu fördern? Wenn Lernen nicht mehr zentral organisiert werden kann, sondern mit dem individuellen Arbeitskontext verschmilzt? Und wenn Lernen zunehmend bedeutet, für das benötigte Wissen ein Setting zu schaffen, das Kollaboration und Co-Kreation unterstützt?

Vielleicht sollten wir, als ehemals Lehrende, unsere Verantwortlichkeiten mehr und mehr darin sehen, dass wir Ermöglicherinnen und Begleiterinnen sind. Ermöglichen im Sinne eines Scrum Master, mit dem Auftrag, den Menschen den Rücken frei zu halten, damit sie wann immer nötig ins Lernen abtauchen können. Und begleiten, in dem wir Vorschläge machen, wie Lernprozesse angegangen werden können.


Der siebte und vorerst letzte Streich

Lernen (spätestens) Morgen

In diesem letzten Artikel der Adventsserie 2020 möchte ich einen Blick in die (hoffentlich nahe) Zukunft wagen und skizzieren, wie Lernen und Arbeiten als zwei Seiten einer Medaille aussehen könnten.

Jeannine arbeitet in der Produktentwicklung, Pierre ist im Kundendienst tätig, Carla leitet eine Entwicklungsabteilung und Tom ist Spezialist für Online-Marketing. Sie sind alle in der gleichen Softwarefirma beschäftigt, mögen ihren Job und sind stets bestrebt, ihre Business-Ziele zu erreichen.

Wenn Jeannine ein neues Produkt entwickelt, führt sie mit ihren Kolleginnen einen Workshop durch, in dem sie aus Konkurrenzanalysen, Marktstudien und Kundenbefragungen die Bedürfnisse an ihrem neuen Verkaufshit ableiten, um diesen dann nach bewährtem Vorgehen zu entwickeln. Wenn sie damit fertig sind, geben sie die Spezifikationen an die Entwicklungs- und Marketingabteilung weiter, damit diese für die Umsetzung und den Absatz sorgen können. Der Kundendienst erhält eine Schulung und ist damit bestens gerüstet, um die Kundinnen bei Fragen und Problemen mit dem Produkt zu unterstützen.

Unsere vier Kolleg*innen kennen sich nicht persönlich, schimpfen aber gerne herzhaft über die mangelhaften Leistungen der jeweils anderen. Pierre muss es ausbaden, wenn die Funktionen des Produkts an den tatsächlichen Bedürfnissen der Kundinnen vorbeigeht. Jeannine ärgert sich über das wenig intuitive User Interface aus der Entwicklungsabteilung. Tom hat Mühe, aus den banalen Funktionen das Next-Big-Thing zu vermarkten. Und Carla schafft es nie, in der knappen Frist und mit ständig eintrudelnden Erweiterungen, ein stabiles und durchdachtes Produkt fertigzustellen.

Voneinander lernen

Was hat das nun mit Lernen in der (hoffentlich nahen) Zukunft zu tun? Wenn Jeannine ein neues Produkt entwickeln muss, lernt sie zuerst, was der Markt sagt, wie der Wettbewerb agiert und was den Kundinnen auf ihre Fragen zu antworten ist. Jeannine könnte aber – bevor sie dann endlich loslegt – noch viel mehr lernen. Zum Beispiel von Pierre. Pierre ist jeden Tag mit den gemeinsamen Kundinnen in Kontakt und weiss viel über deren Bedürfnisse und Wünsche. Auch Tom könnte von Pierre lernen, nämlich, wie er Interessierte oder neue Kundinnen an besten mit seinen Werbebotschaften erreicht. Und von Carla könnte Jeannine jede Menge über Softwareentwicklung lernen.

Wenn sich unsere vier Arbeitskolleg*innen nun vernetzen und regelmässig austauschen, können sie jederzeit voneinander lernen. Und sie können auch miteinander lernen, indem sie gemeinsam neues Wissen erzeugen. Zum Beispiel könnten Jeannine und Pierre zusammen das neue Produkt designen, mit Carlas Mitarbeit dann ein Userinterface entwerfen, das auch Pierre im Kundendienst entlasten würde. Und Tom hätte so die Gelegenheit, tiefer ins Thema einzutauchen und mehr Munition für seine Marketingsalven zu erhalten.

Das ist aus meiner Sicht das Lernen von Morgen – auch, wenn wir besser schon heute damit beginnen sollten. Es findet nicht mehr vorwiegend in formalen Lernsettings statt, es ereignet sich zwischen Menschen, es ist in die Arbeit eingebettet, es überlässt die Organisation denen, die lernen wollen.

Stellen Sie sich dieses Szenario einmal in Ihrer Organisation vor. Und stellen Sie sich die Frage, was sich an Rahmenbedingungen und Kultur ändern muss, damit die Menschen beginnen, auf eine solche Weise ihr eigenes Lernen zu gestalten. Vernetzen Sie sich dann mit Menschen, die Ähnliches wie Sie vorhaben (am besten auch aus anderen Organisationen). Schaffen Sie – während Sie selber Erfahrungen mit dem neuen Lernen machen – co-kreativ neues Wissen über das neue Lernen in Organisationen. So schliesst sich der Kreis.


Sie wollen auf diese Weise in Ihrer Organisation lernen ermöglichen? Oder jedenfalls anders, als bisher - ohne genau zu wissen, wie das denn aussehen könnte? Sprechen Sie mich gerne an, und wir finden gemeinsam heraus, was wir für ein anderes Lernen tun können.